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Paläontologie

Krankenakte eines deutschen Dinosauriers

Ungewöhnliche Verletzungen am Schwanz des ersten Plateosaurus-Fossils entdeckt

Plateosaurus
Plateosaurier verletzten zu Lebzeiten offenbar häufiger mal Teile ihrer Schwanzwirbel. © R. Pfisterer/ SMNS

Urzeitlicher Arztbesuch: Paläontologen haben an den Schwanzwirbeln eines ikonischen Dinosauriers aus Deutschland ungewöhnliche Verletzungen entdeckt. Dieser vor über 100 Jahren in Baden-Württemberg entdeckte Plateosaurus wies demnach auffällige Wucherungen an den Hämalbögen auf – den nach unten gerichteten Knochenfortsätzen der Schwanzwirbelsäule. Solche Vernarbungen der Knochen entdeckte das Team auch bei weiteren Exemplaren dieses frühen Sauropoden-Vorfahren. Aber woher stammten die Verletzungen?

Krankheiten wie Krebs, Halsweh und Arthrose plagen längst nicht nur uns Menschen: Auch Dinosaurier litten bereits darunter, wie charakteristische Verformungen an ihren Skeletten verraten. An den fossilen Knochen der Urzeit-Riesen können wir auch ablesen, welche Verletzungen sie im Laufe ihres Lebens durchgemacht haben. Fossilien des fleischfressenden Allosaurus weisen zum Beispiel häufig verheilte Rippen- und Beinbrüche auf, die sich die Tiere wahrscheinlich während der Jagd zugezogen haben. Und fossile Tyrannosaurier-Schädel besitzen des Öfteren Bisswunden von Artgenossen – wahrscheinlich Überbleibsel von Paarungs- und Revierkämpfen.

Neues von einem alten Bekannten

Nun haben Paläontologen um Joep Schaeffer vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart erstmals auch an einem der ikonischsten Dinosaurier Deutschlands Hinweise auf Verletzungen gefunden. Der Plateosaurus trossingensis lebte vor rund 210 Millionen Jahren in der späten Triaszeit. Als früher Vorfahre der Langhalsdinosaurier konnte er bereits bis zu zehn Meter lang und vier Tonnen schwer werden.

Seitdem das erste Plateosaurus-Exemplar im Jahr 1912 im baden-württembergischen Trossingen entdeckt wurde, haben Paläontologen mehr als 250 weitere Fossilien in Deutschland, der Schweiz und Frankreich freigelegt. Doch der allererste Fund, der sogenannte Holotypus, ist seit rund 100 Jahren nicht mehr umfassend untersucht worden. Dass er ungewöhnliche Läsionen an den Schwanzwirbeln aufweist, ist Schaeffer und seinem Team somit erst jetzt im Rahmen einer Neuuntersuchung aufgefallen.

Wucherungen und Brüche

Konkret stellten die Paläontologen fest, dass drei der Hämalbögen des baden-württembergischen Plateosaurus zu Lebzeiten verletzt wurden. Dabei handelt es sich um längliche, nach unten gerichtete Knochenfortsätze der Schwanzwirbel. Jeweils rund ein Drittel der auffälligen Hämalbögen ist von neugebildeter Knochenhaut überwachsen, wodurch eine knubbelige raue Oberfläche an diesen Stellen entstanden ist.

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Verletzte Wirbelknochen
Die betroffenen Hämalbögen zweier Plateosaurier mit dem Holotypus auf der linken Seite © Schaeffer et al./ PLoS ONE, 2024 /CC-by 4.0

Von dem Befund überrascht, untersuchten Schaeffer und seine Kollegen noch weitere Plateosaurus-Fossilien, bei denen die Schwanzwirbel samt Hämalbögen erhalten sind. Und tatsächlich wiesen rund 15 Prozent davon – in Summe vier Individuen – ähnliche Verletzungen auf. Bei einem von ihnen waren mehrere Hämalbögen zu Lebzeiten sogar komplett gebrochen und dann in Schieflage und mit knubbeligen Nahtstellen wieder zusammengewachsen. Doch was war ihm und den anderen widerfahren?

War es ein Raubtier?

Da die innere Struktur der Hämalbögen jeweils unverändert geblieben ist, schließen Schaeffer und seine Kollegen verschiedene Knochenkrankheiten und -entzündungen als Ursache schon einmal aus, darunter eine Osteomyelitis. Sie nehmen stattdessen an, dass die Läsionen durch starke äußere Gewalteinübung entstanden sind – und zwar als die Plateosaurier noch nicht voll ausgewachsen waren. Könnten sie also von einem Raubtier angegriffen worden sein?

Die Verletzungen weisen zwar keine eindeutigen Bisspuren auf, doch das schließt eine Raubtier-Attacke noch nicht final aus, wie Schaeffer und seine Kollegen berichten. „Ein Raubtier, das die Verletzungen verursacht haben könnte, ist der fleischfressende Dinosaurier Liliensternus, aber angesichts seiner Größe könnte er nur junge Plateosaurus-Individuen verletzt haben“, erklärt Seniorautor Eudald Mujal vom Naturkundemuseum Stuttgart.

„Andere potenzielle Fressfeinde waren Phytosaurier und Krokodilvorfahren. Diese Krokodilverwandten griffen ihre Opfer in der Regel von unten und von hinten an, was zu den Verletzungen an den Knochen passen würde, obwohl keine Zahnabdrücke hinterlassen wurden. Bislang wurden in Trossingen jedoch keine Fossilien dieser Krokodilverwandten entdeckt“, so Mujal weiter. Da von anderen Plateosaurier-Fundorten jedoch durchaus entsprechende Exemplare bekannt sind, ist die These noch nicht vom Tisch.

Verletzungen durch Befreiungskampf oder Sturz?

Doch die Verletzungen am Schwanz der Plateosaurier könnten auch gänzlich ohne Einwirken eines Raubtieres entstanden sein, wie die Paläontologen erklären. Ein mögliches Szenario wäre demnach, dass die massigen Tiere einst im Schlamm stecken geblieben sind und bei dem panischen Versuch sich zu befreien, wild mit dem Schwanz auf und ab geschlagen haben. Das hätte wahrscheinlich Muskel- und Knorpelschäden an der Schwanzunterseite zur Folge gehabt. Die beschädigten Hämalbögen wären daraufhin verkümmert, während die restlichen normal weiterwuchsen, so Schaeffer und sein Team.

Auch ein Sturz, soziale Interaktionen in Form von Kampf, Paarung und Spiel sowie das versehentliche „Zertrampeln“ durch einen Artgenossen kommen als mögliche Ursachen in Frage. Dass verhältnismäßig viele Plateosaurier-Fossilien Läsionen im Schwanzbereich aufweisen, liegt laut Paläontologen wahrscheinlich daran, dass es sich bei den Hämalbögen um besonders empfindliche Knochen handelt, die schneller Schäden erleiden als beispielweise stämmige Beinknochen.

In jedem Fall haben die Verletzungen die Plateosaurier in ihrem weiteren Leben aber wahrscheinlich nicht erheblich eingeschränkt. Denn ihre zentrale Funktion – den Schwanzmuskeln als Ansatzpunkt dienen – konnten die Hämalbögen auch weiterhin erfüllen, wie die Paläontologen vermuten. (PLoS ONE, 2024; doi: 10.1371/journal.pone.0306819

Quelle: Naturkundemuseum Stuttgart

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